Deutsch
Vorgeschichte
Das Deutsche gehört zur Familie der indoeuropäischen Sprachen. Es ist daher verwandt u. a. mit dem Indischen, dem Iranischen, dem Griechischen, den slawischen und baltischen Sprachen, dem Lateinischen einschließlich der von diesem abgeleiteten romanischen Sprachen (u. a. Rumänisch, Italienisch, Französisch, Spanisch, Portugiesisch) sowie mit dem Keltischen; innerhalb der indoeuropäischen Sprachfamilie gehört das Deutsche zusammen mit dem Englischen, dem Friesischen, dem Niederländischen, den skandinavischen Sprachen (außer Finnisch) und dem heute ausgestorbenen Gotischen zum Zweig der germanischen Sprachen. Diese unterscheiden sich von den anderen indoeuropäischen Sprachen durch eine Veränderung der Verschlusslaute, die wohl im ersten vorchristlichen Jahrtausend stattgefunden hat: die so genannte erste oder germanische Lautverschiebung (vgl. z. B. lat. pater, ital. padre vs. engl. father, dt. Vater; grch. karpos ›Frucht, Ernte‹, lat. carpere ›ernten, pflücken‹ vs. engl. harvest ›Ernte‹, dt. Herbst ›Erntezeit‹). Das Hochdeutsche im Unterschied zu den übrigen germanischen Sprachen und Dialekten (auch zum Niederdeutschen) bildete sich durch die so genannte zweite oder hochdeutsche Lautverschiebung heraus, die gegen Ende der Völkerwanderungszeit, wahrscheinlich zwischen dem fünften und dem achten nachchristlichen Jahrhundert stattfand und noch einmal das Konsonantensystem veränderte (vgl. z. B. engl. to vs. hochdt. zu; engl. apple vs. hochdt. Apfel; niederdt. dat vs. hochdt. das, niederdt. maken vs. hochdt. machen).
Das‘ Hochdeutsche, das durch die zweite Lautverschiebung entsteht, darf man sich indessen keineswegs als einheitliche Sprache vorstellen. Es ist vielmehr die in sich durchaus inhomogene Gesamtheit einer Reihe von Dialekten, die im Übrigen auch nicht Resultat der Aufspaltung einer ursprünglichen Einheit sind, sondern von Anfang an eigenständige, wenngleich eng verwandte Sprachen germanischer Stämme waren, die als solche vom Lautwandel betroffen wurden.
Die zweite Lautverschiebung änderte nicht nur nichts an der prinzipiellen Verschiedenheit der Mundarten, im Gegenteil, sie verfestigte sie. Geographisch gesehen breitete sie sich, ausgehend von den am weitesten südlich angesiedelten westgermanischen Stämmen, den Alemannen, Baiern und Langobarden, nach Norden hin aus, wobei ihre Auswirkungen jedoch immer geringer wurden. Dadurch kommt die bis heute im Wesentlichen erhalten gebliebene Gliederung der deutschen Dialektlandschaft zu Stande: Nur in den am weitesten südlich gesprochenen, den oberdeutschen Mundarten wurde die zweite Lautverschiebung vollständig durchgeführt; zum Mitteldeutschen hin wurde sie schrittweise immer unvollständiger übernommen, sodass in den einzelnen Gebieten unterschiedliche Konsonantensysteme anzutreffen sind. Während man im Alemannischen Apfel und das sagt, heißt es im Kurpfälzischen Appel und das, im Rheinland hingegen Appel und dat.
Die Frage, wie es zur Ausbreitung der zweiten Lautverschiebung von Süden nach Norden bei gleichzeitiger Abschwächung kam, ist nicht mit Sicherheit zu beantworten. Mutmaßen könnte man, dass zwei Faktoren eine Rolle gespielt haben: Zum einen existierte prinzipiell ein kulturelles Übergewicht des Südens über den Norden, das sich aus der jahrhundertelangen römischen Kolonialisierung und Besiedelung herleitet. Durch sie standen die südlichen Stämme unter dem Einfluss des Mittelmeerraums und konnten für die nördlicheren kulturelle Vermittler- und Vorbildfunktion übernehmen. Dass sie ihnen auch sprachlich als Vorbilder, als besser Sprechende galten, ist im Mittelalter immer wieder bezeugt. Demgegenüber ist jedoch nicht nur die große räumliche Distanz zu berücksichtigen, durch welche die Ausbreitung des Lautwandels abgeschwächt worden sein dürfte, sondern auch die kulturelle Bedeutung, die den mittleren Stämmen, vor allem den Franken, in den Jahrhunderten der zweiten Lautverschiebung zukommt und die einer Vorbildfunktion südlicher Dialekte entgegengewirkt haben dürfte. Die Franken hatten es aufgrund ihrer politischen Vormachtstellung nicht nötig, sich durch gezielte Nachahmung anderer Mundarten sprachlich aufzuwerten.
Historische Gliederung des Deutschen
Die Periodisierung der Geschichte einer Sprache ist nichts objektiv Vorgegebenes; vielmehr muss jeder Sprachhistoriker entscheiden und darüber Aufschluss geben (zumindest sich selbst), nach welchen Kriterien er die zeitliche Abfolge unterteilt. Es gibt prinzipiell zwei Möglichkeiten: Einerseits können sprachinterne Aspekte wie Laut- und Formenwandel, Wortschatz- und Syntaxentwicklung herangezogen werden, andererseits ist es möglich, sich an sprachexterne Aspekte zu halten und die Relevanz kulturhistorischer Fakten, Phänomene und Prozesse für die Sprachgeschichte zu betonen. Zu nennen wären beispielsweise: die Kulturpolitik Karls des Großen und die Rolle der Klöster als Zentren der schriftlichen Überlieferung, die Entstehung des Rittertums, die deutsche Ostkolonisation, der Aufstieg der Städte, die Erfindung des Papiers und des Buchdrucks mit beweglichen Lettern, die Reformation und der Dreißigjährige Krieg, die Weimarer Klassik und die Reichsgründung von 1871, schließlich das Ende des 2. Weltkrieges.
An Eckdaten mangelt es nicht, und die Gliederungsmöglichkeiten sind entsprechend vielfältig, zumal in der Regel sprachinterne und sprachexterne Kriterien kombiniert werden. Gleichwohl haben einige Periodisierungsvorschläge in der Forschung eine breitere Anhängerschaft gefunden als andere. So galt beispielsweise lange Zeit der Ansatz Jacob Grimms als Konsens, der drei Epochen der deutschen Sprachgeschichte – Althochdeutsch (600 bis 1100), Mittelhochdeutsch (1100 bis 1450) und Neuhochdeutsch (seit 1450) – postulierte (so 1854 im Vorwort zum Deutschen Wörterbuch). Für die Frühzeit orientierte sich Grimm hauptsächlich an lauthistorischen Phänomenen. Als Beginn des Althochdeutschen nahm er die zweite Lautverschiebung an; den Übergang zum Mittelhochdeutschen markierte für ihn unter anderem die Abschwächung der Nebentonsilben (während beispielsweise der althochdeutsche Nominativ Plural von gast ›Gast‹ gesti, der Genitiv Plural gestio lautete, wurde im Mittelhochdeutschen aus beiden Flexionsendungen ein unbetontes -e: geste.) Den Übergang zum Neuhochdeutschen sieht Grimm dagegen in der Erfindung des Buchdrucks.
Heute hat sich, abgesehen von einigen gewichtigen Ausnahmen, die eigene Periodisierungen vertreten, ein modifiziertes, auf den Literaturhistoriker Wilhelm Scherer zurückgehendes Gliederungsschema durchgesetzt. Es unterscheidet vier Epochen: Althochdeutsch (ca. 750 bis ca. 1050), Mittelhochdeutsch (ca. 1050 bis ca. 1350), Frühneuhochdeutsch (ca. 1350 bis ca. 1650) und Neuhochdeutsch (seit ca. 1650). Einige Autoren, z. B. Hans Eggers, schlagen zudem den Ansatz einer eigenständigen Epoche nach 1950 vor.
Althochdeutsch
Als Beginn der deutschen Sprachgeschichte im engeren Sinne gelten die Anfänge der schriftlichen Überlieferung in der zweiten Hälfte des 8. Jahrhunderts. Damit werden etwa anderthalb Jahrhunderte aus der Betrachtung ausgeklammert, in denen vermutlich die zweite Lautverschiebung schon erfolgt war und also statt Germanisch bereits Deutsch gesprochen wurde: Aus dieser Zeit gibt es keine deutschen Textzeugnisse; über sie sind daher keine sicheren Erkenntnisse zu gewinnen.
Einen wichtigen Anstoß zum Verfassen deutschsprachiger Texte gab die Reichspolitik der Karolinger, vor allem Karls des Großen. Zur Verwirklichung von dessen Idee eines imperium christianum gehörte eine umfassend angelegte Kulturpolitik, die sogenannte karolingische Renaissance, die auf eine Verschmelzung lateinisch-christlicher und germanischer Traditionen zielte und unter anderem eine Aufwertung der Volkssprache gegenüber der Gelehrtensprache Latein mit sich brachte. Karls Biograph Einhard berichtet, dass der König unter anderem eine Sammlung germanischer Literatur, die Einführung fränkischer Namen für die Winde und Monate und den Beginn einer ‚Grammatik seiner Muttersprache‘ veranlasst habe (inchoavit et grammaticam patrii sermonis). Zudem ordnete er an, das Volk in seiner eigenen Sprache mit den christlichen Glaubensinhalten vertraut zu machen, sodass das Übersetzen bestimmter kirchlicher Texte nötig wurde.
Einen Eindruck von der Sprachwirklichkeit des Althochdeutschen und vor allem seiner vom heutigen Deutsch erheblich abweichenden ausdrucksseitigen Gestalt mag ein Stück aus dem Tatian gewähren. Dabei handelt es sich um die Übersetzung der lateinischen Version einer von dem Syrer Tatian im 2. Jahrhundert verfassten so genannten Evangelienharmonie, also einer Zusammenfassung der vier Evangelien. Hier der Anfang des Johannesevangeliums:
in annaginne uuas uuort inti thaz uuort uuas mit gote inti got selbo uuas thaz uuort. Thaz uuas in annaginne mit gote. Alliu thuruh thaz vvurdun gitán inti ûzzan sîn ni uuas uuiht gitanes thaz thar gitán uuas. Thaz uuas in imo lîb inti thaz lîb uuas lioht manno. Inti thaz lioht in finstarnessin liuhta inti finstarnessi thaz ni bigriffun. (Wörtlich: In Anbeginn war Wort, und das Wort war mit [= bei] Gott, und Gott selbst war das Wort. Das war in Anbeginn mit Gott. Alle [Dinge] wurden durch das[selbe] getan [= gemacht], und außer seiner [= ohne dasselbe] war nicht etwas [= nichts] Getanes, das da [= damals] getan war. Das [= es] war Leben in ihm, und das Leben war Licht der Menschen. Und das Licht leuchtete in Finsternissen, und [die] Finsternisse begriffen [= ergriffen] das[selbe] nicht.)
Der althochdeutsche Tatian wurde wahrscheinlich um 830 auf Veranlassung des Abts Hrabanus Maurus im Kloster Fulda niedergeschrieben. Er kann, wenngleich er üblicherweise als klassisches Zeugnis des Althochdeutschen gehandhabt und beispielsweise in universitären Althochdeutschkursen gern als Textgrundlage verwendet wird, doch nicht für das Althochdeutsche schlechthin stehen, denn ‘das Althochdeutsche schlechthin‘ existiert nicht. Es ist auch am Ende des 8. Jahrhunderts alles andere als eine einheitliche Sprache: Alle überlieferten Texte liegen im Schreibdialekt des Klosters vor, in dem sie jeweils aufgezeichnet wurden. Schreiben konnten damals ja fast ausschließlich die Geistlichen. Die aber kommunizierten untereinander auf Latein; die Volkssprache brauchten sie nur zu missionarischen und seelsorgerischen Zwecken, und hier waren selbstverständlich Dialekte das geeignete Medium (auch wenn der Schreibdialekt eines Klosters oft durchaus nicht dem Dialekt der Region entsprach, in der es lag). Zur Herausbildung einer überregionalen Ausgleichssprache bestand keine Notwendigkeit. Zudem kam in unmittelbarer zeitlicher Nachfolge der karolingischen Literaturblüte, unter den sächsischen Kaisern und Königen (seit 919), die volkssprachliche Literaturproduktion zum Erliegen und verstummte für einige Jahrzehnte völlig. In Anlehnung an den Namen Otto, den nacheinander drei Kaiser trugen (Otto I. bis Otto III.), spricht man von der “ottonischen Lücke”: Geschrieben wurde wieder ausschließlich auf Latein. Ende des 10., Anfang des 11. Jahrhunderts waren die früher erzielten Leistungen in deutscher Sprache und Literatur vergessen. Abt Notker III. von St. Gallen, der bedeutendste Autor des Spätalthochdeutschen, musste bei seinen Sprachbemühungen fast in jeder Hinsicht wieder von vorne anfangen; er hielt das Schreiben auf Deutsch für etwas ganz Neuartiges (rem paene inusitatam) und entschuldigte sich dafür förmlich bei einem Bischof.
Die Unterbrechung der schriftsprachlichen Kontinuität trug zweifellos mit dazu bei, das Entstehen einer überregionalen Ausgleichssprache in althochdeutscher Zeit zu verhindern. Aber nicht nur von Seiten der Gelehrten, auch beim Volk gab es offenbar keine derartigen Bestrebungen. Das Volk hatte in sprachlicher Hinsicht durchaus kein Einheitsbewusstsein. Nicht nur dass das Reich Karls des
Großen romanischsprachige Bevölkerung mitumfasste, die in ihrer sprachlichen Eigenständigkeit voll akzeptiert wurde: Die germanischsprachigen Stämme brauchten auch unter sich lange, um ein sprachliches Zusammengehörigkeitsgefühl zu entwickeln, wie die Geschichte des Wortes deutschzeigt.
Das Wort geht zurück auf althochdeutsch diutisc, mittelhochdeutsch diutsch, das sich etymo-logisch auf das Substantiv ahd. diot, diet (›Volk, Volksstamm‹) zurückführen lässt. Man kann hierzu die germanische Vorform theoda und ebenso zu diutisc das Adjektiv theodisk erschließen, Wörter, die indessen nicht überliefert sind. Althochdeutsch diutisc ist erst ab Ende des 10. Jahrhunderts schriftlich bezeugt.
Vergleichsweise gut belegt ist seit Ende des 8. Jahrhunderts die mittellateinische Entsprechung theodiscus, die allerdings lange nicht ›deutsch‹ bedeutet, sondern ›germanisch‹ bzw. ›volkssprachlich (im Gegensatz zum Latein)‹, wobei das Wort in allen Belegen auf Sprachen bezogen ist, die heute zur germanischen Sprachfamilie gerechnet werden. Bereits der älteste theodiscus-Beleg aus dem Jahre 786 zeigt dies: Der Bischof Georg von Ostia berichtet in einem Brief an Papst Hadrian I. über eine Synode in England, deren Beschlüsse “tam latine quam teodisce”, also sowohl lateinisch wie auch ‘theodisk‘ verlesen worden seien. Dieses ‘Theodisk‘ kann in Anbetracht des Landes, in dem die Synode stattfand, nicht Althochdeutsch, es muss Altenglisch gewesen sein. Noch Jahrhunderte später, im Mittelhochdeutschen, als das Wort deutsch längst ›deutsch‹ bedeutet, wird dadurch nur sprachliche Gemeinsamkeit, keine sprachliche Einheit zum Ausdruck gebracht: Wo es sich auf Sprache bezieht, wird es ausschließlich zur Unterscheidung von fremden Sprachen (v. a. Latein und Altfranzösisch) verwendet. Untereinander bezeichnen sich die Autoren nicht als ‘deutsch‘, sondern als ‘fränkisch‘, ‘bairisch‘ usw. Schreibende. Ein bekanntes Beispiel ist Hugo von Trimberg, der in seinem Roman Der Renner ‘Deutsch‘ als Sprache nur dort kennt, wo er es von anderen, fremden Sprachen abgrenzt:
Bêheim, Ungern und Lampartenhouwent niht mit tiutscher barten,Franzois, Walhe ['Welsche‘, hier: ›Italiener‹] und Engellant,Norweye, Yberne sint unbekantan ir sprâche tiutschen liuten;nieman kann ouch wol bediutenkriechisch, jüdisch und heidenisch,syrisch, windisch, kaldêisch.
An anderer Stelle hebt Hugo – und zwar ohne Verwendung des Wortes deutsch – die Unter-schiedlichkeit der Einzeldialekte hervor:
Swâben ir wörter spaltent,die Franken ein teil si valtentdie Beier si zezerrentdie Düringe si ûf sperrentdie Sahsen si bezückent,ie Rînliute si verdrückent,die Wetereiber [›Wetterauer‹] si würgentdie Mîsener si vol schürgent,Egerlant si swenkent,Oesterrîche si schrenkent,Stîrlant si baz lenkent,Kernde ein teil si senkent.
Mittelhochdeutsch
Die sprachgeschichtliche Epoche des Mittelhochdeutschen wird, wie dargelegt, heute gewöhnlich von der zweiten Hälfte des 11. Jahrhunderts bis etwa 1350 datiert. Innerhalb dieses Zeitraums unter-scheidet man das Frühmittelhochdeutsche (bis 1170/80), das höfische oder klassische Mittel-hochdeutsche (bis um 1250) und das Spätmittelhochdeutsche.
Sprachliche Kriterien für eine genaue Datierung des Anfangs der mittelhochdeutschen Periode können kaum angegeben werden. Bestimmte Phänomene des Lautwandels, die hier gern ins Feld geführt werden, sind in längerfristige Entwicklungen eingebunden. So finden sich Anzeichen für die Abschwächung der unbetonten Nebensilbenvokale a, i, o und u (Lang- wie Kurzvokale) zu unbetontem e (z. B. althochdeutsch salbôn zu mittelhochdeutsch salben, gibirgi zu mittelhochdt. gebirge) bereits im frühen Althochdeutschen, aber ebenso auch noch im späten Mittelhochdeutschen (in einigen höchstalemannischen Mundarten in den Gebirgstälern um den Monte Rosa sind die vollen Endsilbenvokale, die das Althochdeutsche charakterisierten, sogar bis in die Gegenwart erhalten geblieben, so zum Beispiel in der Tag, Plural die Taga, hingegen neuhochdeutsch: die Tage). Diese extremen Ausnahmen liegen aber im Bereich der Mündlichkeit; in der Schriftlichkeit ist nach einem Übergangszeitraum von etwa der Mitte des 11. Jahrhunderts bis etwa zur Mitte oder zur zweiten Hartmann von Aue Hälfte des 12. Jahrhunderts das Schreibsystem des Mittelhochdeutschen im Großen und Ganzen vollständig entwickelt.
Der Beginn einer neuen Epoche der deutschen Sprachgeschichte zeigt sich weniger anhand sprachlicher als anhand kulturhistorischer, also außersprachlicher Phänomene, die sich auf die Sprache auswirken. Seit der Mitte des 11. Jahrhunderts vollzieht sich ein Umbruch der politischen, sozialen und wirtschaftlichen Gegebenheiten, was natürlich auch den kulturellen Bereich stark beeinflusst. Ein besonderes Kennzeichen der Zeit ist die Ablösung der Kirche als wichtigster Bildungs- und Kulturträgerin. Sie hat ihre direk-ten Ursachen vor allem in zwei soziologisch-politischen Entwick-lungen: in der Entstehung einer neuen gesellschaftlichen Schicht, des Dienstadels, und in der wachsenden politischen Bedeutung des Hochadels.
Seit der ersten Hälfte des 11. Jahrhunderts werden die Ministeria-len, ursprünglich Unfreie, in größerer Zahl zu Kriegs- und Hofdienst herangezogen und zu diesen Zwecken mit Dienstlehen ausgestattet. Durch die Constitutio de feudis von 1037, eine Verordnung, mit der König Konrad II. die Erblichkeit der kleinen Lehen durchsetzte, steigen sie sozial auf und zeigen – wohl im Zusammenhang damit – Interesse an Bildung, oft auf literarischem Gebiet. Sie werden zur Trägerschicht einer neuen, der so genannten höfischen Kultur, deren Höhepunkt in die Stauferzeit fällt und deren bekannteste Ausprägungen sich im Minne- und im Ritterideal finden. Den Prototyp des‚ gelehrten Ritters‘ verkörpert der Ministeriale Hartmann von Aue.
Eine womöglich noch wichtigere Rolle spielt die Tatsache, dass seit dem 12. Jahrhundert die Adels- und Fürstensitze den Königshof als wichtigstes literarisches Zentrum außerhalb der Klöster ablösen. Ihre zunehmende Unabhängigkeit gegenüber dem Reich lässt bei den Territorialfürsten ein Repräsentationsbedürfnis entstehen, das sich vorwiegend in Bautätigkeit und literarischem Mäzenatentum äußert. Auf diese Weise erfährt die deutschsprachige Literaturproduktion, die nach der spätalthochdeutschen Überlieferungslücke in der 2. Hälfte des 11. Jahrhunderts wieder einsetzt, bedeutende Förderung. Zuerst dominieren in ihr noch religiöse Themen, und auch die Autoren der vorhöfischen Zeit sind oft Geistliche (z. B. der Pfaffe Konrad mit dem Rolandslied und der Pfaffe Lamprecht mit dem Alexanderroman). Zur höfischen Epoche hin, die ihren Höhepunkt in den Jahrzehnten von ca. 1190 bis ca. 1220 erreicht, setzt sich dann allerdings das kulturell aufstrebende Rittertum schnell durch.
Mit dem Beginn der höfischen Dichtung entwickeln sich verschiedene Literaturidiome von regional-dialektaler Prägung, z. B. am Mittelrhein und im bairischen Raum. Überregionale Züge verrät allein die so genannte hochhöfische Dichtersprache. Ihr geographisches Ausgangsgebiet ist der deutsche Südwesten, der Rhein-Main-Donau-Raum; im Gegensatz zu den anderen Literatursprachen treten in ihr die dialektalen Besonderheiten so weit zurück, dass man allein aus der Sprache eines Dichters nicht mehr auf seine Herkunft schließen kann.
Die hochhöfische Dichtersprache erlangte Vorbildfunktion bis in den niederdeutschen Sprachraum hinein. Ihrer bedienten sich die ‘Klassiker‘ Hartmann von Aue, Wolfram von Eschenbach, Gottfried von Straßburg und Walther von der Vogelweide und auch der anonyme Verfasser des folgenden bekannten Liebesliedes:
Du bist mîn,
ich bin dîn,
des solt du gewiz sîn.
du bist beslozzen
in mînem herzen,
verlorn ist das sluzzelîn:
du muost ouch immer drinne sîn.
Selbst Autoren wie der (Nieder)sachse Albrecht von Halberstadt und der Thüringer Ebernand von Erfurt, die sich selbst eine unvollkommene Beherrschung der hochhöfischen Dichtersprache attestieren und in diesem Zusammenhang Rechtfertigungsgründe vorbringen, bezeugen eben dadurch ein Bewusstsein des sprachlichen Vorbildes.
Allerdings ist die Bedeutung der Dichtersprache als einer ‘überlandschaftlichen Ausgleichs-sprache‘ von hohem Einheitsgrad oft überschätzt worden. Insbesondere Vorstellungen, die davon ausgehen, sie sei in der kulturell hochstehenden Oberschicht oder geistigen Elite als Umgangs-sprache tatsächlich gesprochen worden, laufen den Tatsachen ganz offensichtlich zuwider. Es han-delte sich um eine fast reine Dichtungssprache – ansatzweise (im 13. Jahrhundert im südwest-deutschen Raum) auch um eine Urkundensprache –, die zumal in ihrer idealen Form kaum jemals
Johannes Gutenberg tatsächlich realisiert wurde. Diesen Anschein vermitteln lediglich die normalisierten Textausgaben unserer Zeit: Nach der im 19. Jahrhundert von Karl Lachmann aus der klassischen Philologie übernommenen textkritischen Methode präsentieren sie Idealtexte, die aus dem Vergleich verschiedener Handschriften hergestellt sind und mit der überlieferten sprachlichen Realität des Mittelhochdeutschen nicht übereinstimmen. Sie besteht, ebenso wie die des Althochdeutschen, in der Vielzahl der Dialekte.
Fonte: http://85.214.96.74:8080/baerneu/beitraege/sprachgeschichte.pdf
Alphabet
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Histórias para crianças
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